Autokino

2006

 

Zu sehen ist ein Autokino, dessen Leinwand weiß strahlt. Der Himmel ist wolkenlos blau, die Bäume bewegen sich kaum merklich im Wind. Das Areal ist zur Straße hin durch einen massiven Zaun begrenzt, der von einer Einfahrt und einem Fußgängereingang unterbrochen wird. In einem marginalen Bereich links im Bild spielen sich geringfügig variierende Szenen ab: Von links her betreten in lockerer Rhythmik verschiedene Einzelpersonen das Bild, gehen ein paar Schritte am Zaun entlang und verschwinden dann durch den Fußgängereingang in einem Unterstand.

Die zumindest relative Verortung der Szene ermöglicht einen spontanen Zugang zum Bild. Sonneneinstrahlung, Himmel und Vegetation vermitteln den Eindruck eines klaren Sommermittags, der Ort ist durch die von der Sonne erleuchtete Leinwand als Autokino bestimmbar, das durch den massiven Zaun, der den Blick ins Innere des Areals blockiert, zur Straße hin begrenzt ist. Zusammen mit dem Fehlen des sichtbaren Horizonts ist die Räumlichkeit der Szene stark eingeschränkt. Spätestens die eintretenden Personen werfen Fragen nach dem Wohin und Warum ihres Weges auf, es wird versucht, die Szene inhaltlich zu interpretieren und einen Sinn aus ihr abzuleiten, der sich konkret über die Handlung vermitteln soll. Die sich so ergebende Erwartungshaltung wird jedoch enttäuscht, denn das Wohin der Personen führt ins Leere, sie verschwinden ebenso spurlos im Bild, wie sie es davor betreten haben. Ihr Gehen ist derart reduziert, dass sich auch die Frage nach dem Warum nicht klärt. Im Gegenteil, mit jeder Wiederholung wird die Bedeutung trotz variierender Charaktere weniger greifbar und letztlich scheitert der Versuch der inhaltlichen Interpretation ganz. Sie wird dann ersetzt durch die strukturelle Rezeption der Szene, die deren Bestandteile in Flächen, Perspektiv- und Bewegungslinien auflöst: Die gegenläufige Verschränkung von Zaun- und Leinwandfläche spannt einen geometrischen Raum innerhalb des optischen auf, deren Fluchtpunkte jenseits der Bildfläche liegen. So zeigt sich die Funktion der Objekte in Abhängigkeit der Wahrnehmungsebene ambivalent: Konkret gesehen limitiert vor allem der Zaun die Räumlichkeit, während er als abstrakte Fläche das gesamte Bild öffnet und zum Umraum hin erschließt. Ebenso ambivalent funktionieren die Personen, denn gegenständlich begriffen gewähren sie dem Betrachter Zugang zum Bild. Sie treten wie dieser ins Bild ein und finden, wenn man so will, ihren Weg in dessen Innerstes. Die strukturelle Wahrnehmung dagegen abstrahiert sie zum reinen Bewegungsmuster, das gegenläufig zum dominanten perspektivischen Zug des Zauns gerichtet ist. Auf diese Weise eröffnet die strukturelle Wahrnehmung des Bildes eine Sinnschicht jenseits des konkret Dargestellten. Sie transportiert sich anhand von Rhythmus, Bewegungs- und Raumbezügen der abstrakten Objekte und konzentriert so ihre Erfahrung ausschließlich auf das Sehen selbst. In der Vorstellung dagegen bleibt kein greifbarer Bezug zurück, der ihre Erfahrung ohne das Bild selbst vermittelbar macht.

Auch die Farben sind in das Spiel der Wahrnehmungsschichten involviert: Als Buntfarben scheiden Schwarz, Weiß und Grau aus; übrig bleiben das Rot des Unterstands, das Grün der Bäume und das Blau des Himmels. Dieselben Farben liegen den Lichtfarben zugrunde, die sich additiv zu Weiß mischen. So kann die Beschränkung der Arbeit auf die verwendeten drei Grundfarben als Verweis auf die Konstruktionsweise des Bildes selbst gelesen werden. Das gesamte Bildgefüge ergibt sich also aus den einzelnen Bildelementen wie die Bildfarben aus den Grundfarben. Die Mischung von Rot, Grün und Blau, quasi die Summe der Elemente, ergibt dasjenige reine Weiß, das sich in der Leinwand wiederfindet. Diese wird somit zum Mittelpunkt, in dem alles im Bild Mögliche zusammenfindet und sich in der Summe zum Nichts steigert. Das Bild im Bild ist leer, da es alles enthält.

 

Hannes Herold